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Der Gildebote

Die Gilde „auf Abwegen“ ?

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Gilde-Archivar Dr. Gerhard Rauls beim Stöbern in historischen Akten im Traditionsraum des Collegiums.

In der Schützengilde ist es seit langer, langer Zeit üblich, dass über die Sitzungen des Collegiums Protokoll geführt wird – ein Quell so mancher Anekdote. So stand schon im ältesten erhaltenen Protokoll vom 14.8.1861, dass außer den drei Freischießen-Bällen sogenannte Casinos, also Bälle, zu Martini im Herbst, zu Weihnachten, zu Ostern und zur „Fastnacht“ gefeiert wurden – sicher auch schon viel früher, und das jedes Jahr.1882 aber wurden die Schützen dieser vielen Bälle überdrüssig. Besonders zur Fastnachtszeit und immer „zu den früheren Bedingungen“ ist dem Protokoll zu entnehmen. Daher beschloss das Collegium im Januar 1882, stattdessen mal einen reinen Herrenabend ohne Damen zu veranstalten. Drei Collegiums-Mitglieder wurden beauftragt, „die nöthigen Schritte dazu zu tun, nach Braunschweig zu reisen, den Hofschauspieler Oskar Fischer für den Abend zu engagieren und sich daselbst über dergleichen Festlichkeiten zu informieren“.

Der Gildebote

Die Gilde „auf Abwegen“ ?-2

Der Herrenabend wurde ein voller Erfolg. Also sollte 1883 erneut ein reiner Herrenabend stattfinden, „aber nur bei genügender Betheiligung von Herren, die Vorträge und dergleichen halten würden“. Es wurde ein Comité gewählt, das die Auswahl der vorgeschlagenen Sachen treffen sollte. Ebenso sollten kostenlose Herrenkappen beschafft und der Saal ausgeschmückt werden. „Nach den Vorträgen soll ein Ball stattfinden für die theilnehmenden Mitglieder und ihre Angehörigen.“ In der Februar-Sitzung stellte man dann fest, dass plötzlich „zu dem projizierten Herrenabend sich zu wenig Herren bei den Aufführungen betheiligen würden, die meisten ihre vorherige Zusage zur Mitwirkung ganz zurück nahmen“. Frustriert wurde beschlossen, einen Herrenabend überhaupt nicht abzuhalten. „Die Frage, ob stattdessen gegenwärtig ein Ball abgehalten werden sollte, wurde ebenfalls abgelehnt.“ Schließlich veranstaltete man dann doch nach einer Kampfabstimmung „anstatt des nicht stattgefundenen Fastnachtsballes“ einen normalen Ball am Sonntag vor Pfingsten.

Im Februar 1884 gab es einen erneuten Versuch: Es wurde beschlossen, am 23.2. eine Maskerade zu feiern! „Nicht maskierten Personen soll der Zutritt nicht gestattet sein.“ „Die Unterschriften zur Maskerade waren so zahlreich, dass zur Abhaltung derselben nichts im Wege steht.“ „Ferner wurde bestimmt, dass, wer die Maske ablegt, ohne das Zeichen zur Demaskierung gegeben, 1 Mark Strafe zahlen sollte und verpflichtet sein, die Maske wieder vorzubinden.“ Auch 1885 wurde eine Maskerade gefeiert – „unter denselben Bedingungen wie voriges Jahr“.

Doch schon 1886 traute man sich – aus vielleicht erklärlichen Gründen – nicht mehr, nochmals eine Maskerade zu veranstalten, sondern „nur“ einen Ball mit den Damen, ebenso 1887. Aber die Meinungen der Schützenbrüder dazu waren unterschiedlich, sodass im Drei-Kaiser-Jahr 1888 gar kein Ball zur Fastnacht organisiert wurde, „da man der Meinung war, dass ein solcher wenig oder gar nicht besucht würde“. Einen reinen Herrenabend oder eine Maskerade durfte man nicht, einen herkömmlichen Ball wollte man nicht. Also gab es ab 1889 ein Konzert. „Sollte hinterher getanzt werden, soll ein Tanzgeld von jedem tanzenden Herrn erhoben werden.“ Danach fiel dann der reine Fastnachtsball für viele Jahre ganz aus. Der „Kompromiss“ bis zum 1. Weltkrieg: erst Konzert, anschließend Ball.

Der Versuch der Schützen, in Zukunft einen schönen Herrenabend nur für sich oder sogar eine knisternde Maskerade feiern zu wollen (wie frivol!!), scheiterte also kläglich – und das für viele Jahre!