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Sportbuzzer - WM 2018

Timo Werner im Interview: "Wenn wir spielen, steht zu Hause die Arbeit still“

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Schnell wie Sprintlegende Usain Bolt – zumindest über 30 Meter: Nationalstürmer Timo Werner (22) von RB Leipzig.

Von Heiko Ostendorp  Herr Werner, wie gehen Sie damit um, Deutschlands größte WM-Sturmhoffnung zu sein?(lacht) Ich freue mich natürlich riesig auf die Weltmeisterschaft. Ob ich Deutschlands größter Hoffnungsträger bin, darüber mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich will einfach spielen, nach Möglichkeit ein paar Tore schießen und einen größtmöglichen Anteil daran haben, dass wir am Ende Weltmeister werden. Das ist unser Ziel. Ich weiß, dass ich der Mannschaft helfen und auch auf diesem Niveau mithalten kann. Daher mache ich mir keinen Druck, sondern werde von Anfang an einfach Vollgas geben.Wie schätzen Sie die Chancen ein, den Titel tatsächlich erstmals zu verteidigen?Wir haben eine großartige Mannschaft – sehr jung, aber dennoch erfahren. Wir haben einige Weltklassespieler dabei, die Mischung ist perfekt. Wir zählen zu den Topfavoriten, aber gerade gegen die anderen Weltklasseteams geht es sehr, sehr eng zu.Wo waren Sie, als Deutschland vor vier Jahren den Titel holte?Beim legendären Halbfinale gegen Brasilien war ich mit dem VfB Stuttgart im Trainingslager. Das Spiel haben wir alle zusammen im Teamhotel geschaut. Das Endspiel habe ich mit Freunden in einem Restaurant geguckt. Es war natürlich Wahnsinn, weil die Party danach erst richtig losging – in ganz Deutschland. Man hatte zwar eigentlich nichts damit zu tun, aber trotzdem das Gefühl, dass alle 80 Millionen Deutschen gerade den Titel geholt haben. Jetzt auf der anderen Seite dabei zu sein und vielleicht diese 80 Millionen zum Jubeln zu bringen, das macht mich wirklich stolz.

Auf Timo Werner ruhen die deutschen Sturmhoffnungen. Im Interview spricht der 22-Jährige über die Chancen auf den WM-Titel und seine Turnierfavoriten.

Timo Werner im Interview:
Werners WM-Stars - Sie können laut Werner das Turnier prägen: Brasiliens Neymar (von links), Englands Harry Kane, Frankreichs Antoine Griezmann und Argentiniens Lionel Messi. 

Mal ehrlich: Haben Sie 2014 nicht schon damit geliebäugelt?

Gar nicht. Natürlich war es immer ein Traum, Nationalspieler zu werden. Aber bei so einem Turnier dabei zu sein, daran dachte ich noch nicht. Man muss sich vor Augen führen, was für eine Basis hinter uns steht. Wenn wir um 12 Uhr spielen, dann steht zu Hause überall für 90 Minuten die Arbeit still, ob bei Porsche, VW oder in anderen großen Unternehmen – alle gucken Deutschland und fiebern mit.

Haben Sie darüber schon mal mit den Kollegen gesprochen, die 2014 dabei waren?

Nein, das muss ich auch nicht. Ich glaube ohnehin, dass jede WM anders ist. Brasilien verbindet man mit dem Campo Bahia, mit Sonne und Strand. Das wird in Russland sicher eine andere Geschichte, das haben wir beim Confed Cup erlebt. Aber auch da konnte man das Feeling so eines Turniers schnuppern. Da muss mir niemand Tipps geben, jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen.

3 Tore schossen Timo Werner, Lars Stindl und Leon Goretzka jeweils beim Confed Cup 2017. Den Goldenen Schuh als bester Torschütze erhielt Werner, weil er zudem zwei Treff er vorbereitet hatte.

Wie wichtig ist der Teamgeist denn wirklich bei einer WM?

Ich glaube schon, dass es die große Kunst ist, einen Lagerkoller zu vermeiden. Dass man sich nicht gegenseitig auf die Mütze gibt und denkt: Ich habe jetzt fünfmal zugeschaut und der Kollege neben mir hat gespielt – den schnappe ich mir im Training mal. So etwas kann in Mannschaften mit dem besten Teamspirit vorkommen. Aber wir haben so viele erfahrene Spieler und verstehen uns so gut, dass ich diese Gefahr nicht wirklich sehe. Auch wenn es über einen gewissen Zeitraum mal zäh wird oder werden kann, aber auch das ist völlig normal. Beim Confed Cup waren wir auch fünf Wochen zusammen, haben uns aber nicht die Köpfe eingehauen und am Ende den Titel geholt. Es ist eine Riesenstärke von uns Deutschen, sich in solchen Momenten zusammenzuraffen und nicht auf sich zu schauen, sondern auf das Team und das Land, für das wir auflaufen. Ich glaube, dass wir eine sehr gute Chance haben.

Was meinen Sie genau?

Sein bisheriger Karrierehöhepunkt: Timo Werner im vergangenen Jahr mit dem Confed Cup. Wir haben gestandene Spieler wie Hummels, Müller oder Kroos, die 27 oder 28 sind und vielleicht noch eine WM spielen können. Auf der anderen Seite Leute wie Brandt, Kimmich, Süle oder mich, die sogar drei oder im besten Falle vier WMs vor sich haben. Diese Fülle an super Spielern auszunutzen und so viele Titel wie möglich zu holen ist eine tolle Chance. Man weiß nie, ob in zehn Jahren wirklich noch mal so ein Schwung von tollen Spielern nachkommt oder nicht mal ein paar Jahre Pause ist. Diese Phase sollten wir natürlich versuchen, bestmöglich zu nutzen.

Timo Werner im Interview:
Sein bisheriger Karrierehöhepunkt: Timo Werner im vergangenen Jahr mit dem Confed Cup. 

Wie gut kennen Sie bereits die drei Vorrundengegner Schweden, Mexiko und Südkorea?

Schweden kenne ich persönlich nicht so gut. Aber nach der Auslosung habe ich natürlich mit Emil Forsberg geflachst. Ich glaube, für ihn war es allerdings weniger lustig als für mich (lacht). Sie haben großen Respekt vor uns und wissen, dass wir zu den Turnierfavoriten gehören und sie vermutlich ihre Punkte gegen die anderen Teams holen müssen.

Gegen Mexiko gab es beim Confed Cup einen 4:1-Sieg im Halbfinale …

Genau – und sie sind da mit voller Mannschaft aufgelaufen. Allerdings hatten wir einen super Tag. Sie spielen mit, was uns grundsätzlich entgegenkommt. Mexiko ist wirklich eine sehr gute Mannschaft und stand aus meiner Sicht zu Recht im Halbfinale. Sie werden uns ärgern wollen und den Schwung mit durchs Turnier tragen.

Und Südkorea?

Das ist sicherlich die größte Unbekannte. Man kennt zwar ein paar Jungs aus der Bundesliga und natürlich Heung Min Son aus der Premier League. Aber so richtig wissen wir noch nicht, was da genau auf uns zukommt. So oder so wäre es gut, wenn wir die Gruppe gewinnen, und das muss auch unser Anspruch sein. Als Erster kann man sich ja schon ungefähr ausmalen, wie es weitergeht, wenn es in den anderen Gruppen nicht die ganz großen Überraschungen gibt.

Im Viertelfinale drohen beispielsweise schon die Brasilianer.

Spätestens ab dann kommen die richtigen Brocken, ganz klar. Brasilien war schon in den letzten Monaten wahnsinnig stark, und zur WM kommt dann noch Neymar zurück – das ist schon eine echte Hausnummer.

Mit wem rechnen Sie noch?

Auf jeden Fall mit den Franzosen, die ich bei den letzten Turnieren noch nicht so auf dem Zettel hatte. Aber nun mit Mbappé, Dembélé, Pogba, Griezmann und noch so vielen weiteren Topstars muss man definitiv mit ihnen rechnen. Genau wie mit den Argentiniern, bei denen Messi wohl sein letztes Turnier spielt, unbedingt den Titel holen will, und mit Spanien. Da hat man bereits in unserem Freundschaftsspiel (1:1, d. Red.) im März gesehen, zu was beide in der Lage sind und dass diese Teams durchaus auch das WM-Finale bestreiten könnten.

Gibt es für Sie einen Geheimfavoriten?

England. Sie haben ähnlich wie wir eine gute Mischung, eine tolle Offensive mit Harry Kane, der jederzeit den Unterschied ausmachen kann. Und unter dem neuen Trainer haben sie auch die Defensive gestärkt, was wir beim 0:0 in Wembley (im November 2017, d. Red.) selbst gemerkt haben. Auch wenn sie eine schwere Gruppe erwischt haben, traue ich ihnen einiges zu, sollten sie sich erst einmal in einen Rausch spielen.

Kommen wir noch mal zu Ihnen persönlich: Bei RB Leipzig sind Sie der schnellste Spieler im Kader – wie sieht es eigentlich beim DFB aus?

Wir haben einige schnelle Jungs, zu denen ich sicher auch gehöre. Toni Rüdiger zum Beispiel. Wir haben aber noch nie ein Wettrennen gemacht und werden es vermutlich auch nicht – dafür sind wir zwischen den Spielen viel zu faul (lacht).

Haben Sie Ihre 100-Meter-Zeit im Kopf? Über 30 Meter wurden Sie mal mit 3,7 Sekunden gemessen, was der Geschwindigkeit von Weltrekordler Usain Bolt entspricht.

Das war noch zu meiner Stuttgarter Zeit. Seitdem haben wir es nicht mehr getestet, aber langsamer geworden bin ich hoffentlich nicht (lacht). Meine 100-Meter-Zeit kenne ich nur noch aus dem Abitur. Damals waren es glaube ich 10,9 Sekunden handgestoppt.

Was war bisher Ihr Highlight im DFB-Trikot?

Es gab schon einige tolle Erfolge wie den Sieg beim Confed Cup, an dem ich meinen Anteil hatte. Aber mein bestes und schönstes Länderspiel war sicher das 6:0 in Stuttgart gegen Norwegen, wo sich die ganze Geschichte mit den Pfiffen gegen mich umgedreht hat (Werner war nach einer Schwalbe in der Liga gegen Schalke zum Buhmann vieler Fans geworden, d. Red.). Ich war damals etwas aufgeregt und gespannt, wie ich empfangen werde. Gleich nach meinem ersten Ballkontakt wurde ich gefeiert. Dann habe ich auch noch zwei Tore gemacht. Dieser Abend hätte nicht besser
laufen können.

Ist die Sache mit den diffamierenden Gesängen gegen Sie mittlerweile endgültig abgehakt?

Ja, schon lange.